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Vor 25 Jahren kam der Begriff des Anthropozäns auf. Dahinter stand die Hypothese, „dass Menschen bereits heute die Erdoberfläche so stark prägen, dass man das in ferner Zukunft noch als geologische Schicht erkennen wird“, so der Geologe und Ethnologe Christoph Antweiler. In einer fast 800 Seiten starken Publikation „Menschen machen Erdgeschichte“ befasst sich der Autor mit der Frage, ob diese Hypothese einer kritischen Überprüfung standhält. Denn eigentlich könnte erst eine Geologin im Quintär, der geohistorischen Epoche nach dem Anthropozän, feststellen, ob das so genannte Anthropozän „mehr war als ein vulgärwissenschaftliches Krisen-Mem des beginnenden 21. Jahrhunderts“. Ist also das Konzept des Anthropozäns heute eher so etwas wie Science-Fiction, die „aus einer angenommenen Zukunftsentwicklung zurückblickt“?
In einer facettenreichen Abhandlung lädt Antweiler uns ein, die Anthropozän-These wie mit dem Geologenhammer abzuklopfen, um zu erkennen, was sich in ihr verbirgt. Geht man mit der Denkweise von Geologen an die Fragestellung heran, dann überwiegt die Skepsis gegenüber der Ausrufung eines neuen Erdzeitalters. Denn „im Unterschied zu anderen geologischen Perioden, die viele Millionen Jahre dauern, hätte diese Epoche des Anthropozäns bislang nur die extrem kurze Zeitdauer nur eines Menschenlebens“, sodass es „zunächst abwegig erscheint, Zusammenhänge zwischen der slow motion der Erdgeschichte und der schnellen Bewegung der Menschheit, ihrer gegenwärtigen Überhitzung, zu suchen“.
Wenn aber dennoch heute Geologen „mit ihrer extrem langzeitlichen Perspektive schon jetzt eine neue Phase der Erdgeschichte ausrufen“, so Antweiler, „muss uns das alarmieren“. Freilich gibt es schon über die Frage, wann der Beginn des Anthropozäns denn anzunehmen sei und woran man dies erkennen könne, keine Einigkeit unter Wissenschaftlern. Während die einen den Beginn des Anthropozäns um das Jahr 1950 ansetzen, nämlich mit dem Abwurf der ersten Atombombe bzw. der stärkeren ersten Wasserstoffbombe („Der radioaktive Fallout dieser Bomben führte zu einem weltweiten Horizont von künstlichen Radionukliden“), gehen andere weiter zurück und sprechen von einem frühen Anthropozän, das schon vor einigen Tausend Jahren begonnen habe: „Für ein frühes Anthropozän sprechen etliche Befunde. Neuere Synthesen der verfügbaren Daten zeigen, dass abseits aller zeitlichen Unterschiede ein Großteil der Geosphäre ab etwa 3000 v. h. durch Jäger, Sammler, Bauern und Herdenhalter verändert wurde. Immerhin bewirkten Jäger-Sammler-Gesellschaften starken Wandel der Flora und Fauna: je nach Region starben 20 bis 70% der Großfauna aus“.
Antweiler betont, dass das Konzept des Anthropozäns keine neue Klammer für die ökologischen Problembefunde unserer Zeit sei und auch nicht dasselbe wie „Nachhaltigkeit“ meine. Es sei „mitnichten dasselbe wie 'Klimawandel', 'globale Erwärmung', 'Umweltprobleme' oder ähnliche Begriffe für Veränderungen der Welt“. In der Begrifflichkeit des Anthropozäns gehe es vielmehr grundlegend um das „Verhältnis von Mensch und materieller Umwelt bzw. naturaler Welt“. Anders als in der klassischen Ökologie mit ihrem Mensch-Umwelt-Antagonismus ist in der Anthropozän-Idee der Mensch „keine von außen kommende Kraft, und Kultur ist ein normaler Bestandteil der Biosphäre. Entsprechend sind Naturkatstrophen nicht mehr, wie früher durchweg, von außen auf Gesellschaften einwirkende Desaster. Nein, heute sind wir selbst Teil der Verursachung vieler Desaster. Im Anthropozän geht es um viel mehr als um Klima, nämlich auch um Böden, Flüsse, Meere, und Organismen, einschließlich des Menschen, und die Diagnose ist eine deutlich komplexere, als es die des anthropogenen Klimawandels selbst schon ist.“
Trotz dieser wissenschaftlichen Komplexität hat der Begriff des Anthropozäns auch einen narrativen Charakter und eine starke emotionale Komponente. Antweiler stellt fest: „In der Diskussion um das Anthropozän kommen naturwissenschaftliche Befunde zusammen mit einem Universalnarrativ und primär negativ besetzten Sprachbildern, dystopischen Metaphern und … alarmistischen und melodramatischen Narrativen. Es dominieren ‘Endgeschichten‘.“ Sodass man feststellen müsse: „Summa summarum herrscht eine besondere Form der negativen Anthropologie vor, nach der das Anthropozän als »Misanthropozän« erscheint.“
Warum brauchen wir die Diskussion um das Anthropozän-Konzept überhaupt? Zum einen wohl allein schon wegen der kritischen Auseinandersetzung mit ihm, die weitere Konzepte wie die des Kapitalozäns, Plantagozäns, Technozäns und Urbanozäns hervorgebracht hat. Vor allem aber, so betont Christoph Antweiler, wegen seines revolutionären Charakters, der darin bestehe, „dass es die Frage aufwirft, inwiefern etablierte Grenzen, besonders die für die Moderne konstitutive Grenze zwischen Natur und Kultur aufzuweichen sind“.
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stratum lounge, Boxhagener Straße 16, Berlin, Germany
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